Begegnung der besonderen Art
Fünf Stunden Fahrt von Mittersill nach Klosterneuburg. Es ist eine schöne Strecke. Eine, die ich schon lange nicht mehr gefahren bin. Als Beifahrerin sehe ich heute die Umgebung viel genauer. Am liebsten mag ich das Salzachtal zwischen St. Johann und Salzburg. Dort liegt Schloss Werfen – direkt neben der Autobahn. Auf einem atemberaubenden Felsen. Das Schloss und seine Lage sind spektakulär genug, sodass sogar Szenen für James Bond und Indiana Jones hier gedreht wurden. Sie haben es international bekannt gemacht. Das Tal wird ein paar Kilometer lang ganz schmal und zwängt sich zwischen zwei nackten, schroffen Gebirgszügen hindurch. Da kannst du schon ein wenig Atemnot bekommen … Zwei Fahrzeuge vor uns fährt ein Wagen mit Anhänger. Dieser Anhänger erregt meine Aufmerksamkeit, weil die Höhe seiner Seitenwände ungewöhnlich ist. Zu niedrig für ein Pferd, aber zu hoch für etwa ein Schwein. Als die Fahrzeuge enger aufschließen, sehe ich etwas über den Rand der geschlossenen Wände hinausragen. Nach beiden Seiten. Ausladend. Die Form erinnert mich an etwas. Erinnert mich an … an den Lenker einer Chopper – natürlich! Die Leute da vorn benutzen den Hänger, um eine Chopper zu transportieren. Frage geklärt. Eigentlich sollte ich mich jetzt wieder der schönen, mittlerweile lieblichen Umgebung widmen, die sich im Salzburger Land jetzt vor mir öffnet. Trotzdem beschäftigt mich der Inhalt des Anhängers noch immer. Und nun weiß ich auch warum. Vielleicht sollte ich mir eine neue Brille besorgen! Die Form stimmt. Aber an den beiden Enden des Lenkers fehlen die Handgriffe. Genauer besehen – aus der Entfernung – scheint die Lenkstange an beiden Enden spitz auszulaufen. Komische Chopper! Immer schon habe ich den Kopf verdreht, wenn ich eines dieser außergewöhnlichen Motorräder gesehen habe. Seltene Augenblicke waren das. Aber wie lässig thronten ihre Fahrer darauf. Was für ein unvergleichlicher Anblick. Er vermittelte mir jedes Mal den Eindruck von unendlicher Freiheit. Eine Fahrt von Wien nach München fällt mir ein, als ich absichtlich für eine lange Strecke hinter einem solchen Wunder herfuhr. Es fuhr nicht schnell – der Fahrer schien einfach die Fahrt zu genießen. Der Weg war das Ziel. Ich lehnte mich in meinem Sitz zurück, drehte sogar die Lehne noch ein wenig weiter nach hinten und tat es ihm gleich. So glitten wir über die Autobahn. Bis er mich nach vorne winkte und ich begriff, dass er nun für eine Zeit lang in meinem Windschatten fahren wollte. Also behielt ich sein Tempo bei – bis mir klar wurde, dass ich mein Treffen in München verpassen würde, wenn ich weiter so schlenderte. Ich öffnete das Fenster, streckte meine Hand hinaus und winkte zum Abschied, bevor ich auf das Gaspedal stieg, und ich freute mich, dass der Fahrer der Chopper es auch tat. Easy Rider fällt mir ein. Ich habe den Film mehrmals gesehen. Ich überlegte sogar, den A-Führerschein nachzuholen, aber dann wurde nichts daraus. Denn es gibt keine Chopper mit Beiwagen. Und den hätte ich gebraucht für meinen Hund. Also musste das Bewundern weiterhin genügen.
Mein Mann mag nicht überholen. Nicht jetzt. Aber ich habe Glück. Der Wagen vor uns fährt von der Autobahn ab und wir können aufschließen. Nun wird es spannend. Denn plötzlich richtet sich ein Ende des Lenkers steil auf, während das andere Ende komplett verschwindet. Diese Chopper lebt! Eindeutig! Jetzt hat mich die Neugier so richtig gepackt. Mein Mann lenkt den Wagen auf die Überholspur. Ich trete auf meiner Seite das Gaspedal durch. Kickdown. Das ist leider nicht sehr wirkungsvoll, weil dieser Geländewagen, in dem ich sitze, viel zu unwillig ist, meiner Fantasie zu folgen und ungeduldige Befehle von der Beifahrerseite anzunehmen. Er tut einfach so, als hätte ich kein Gaspedal. Der Fahrer auch. Aber ich sitze hoch. So hoch, wie man eben in einem Puch G sitzt. Und das ist auch nicht schlecht. Denn wir nähern uns nun langsam, aber beständig dem Anhänger, in dem sich der Lenker wieder eingependelt hat, sodass die beiden Enden nun wieder in eleganten Bögen beidseits über die Seitenwände hinausragen. Die Langsamkeit, mit der ich mich in meinem Ausguck dem Inhalt des Anhängers und damit der ersehnten Lösung des Rätsels nähere, ist nervenzerfetzend. Ich richte mich in meinem Sitz auf, als würde ich in Steigbügeln stehen. Und dann sehe ich ihn. Zuerst sehe ich nur ein dunkelbraunes, dichtes Haarbüschel – dort, wo eigentlich die Instrumente der Chopper sein sollten. Und als sich der Puch G zwar langsam, aber jetzt doch viel zu schnell, an dem Anhänger vorbeischiebt, sehe ich ihn in seiner ganzen Pracht. In seiner Großartigkeit. In seiner ungewöhnlichen Schönheit. Es gelingt mir sogar, einen kurzen Blick in seine schwarzen Augen zu tun. Da ist es um mich geschehen. Ein Yak. Vielleicht ein Bulle – und vielleicht auf dem Weg zu einer Yak-Kuh. Viel Glück für dich, mein Schöner! Ich schätze mich glücklich, dass ich dich habe sehen dürfen! Und ich freue mich tierisch, dass du keine Chopper bist!