Heimkommen

Heimkommen. Heimkommen nach einer langen Fahrt. Der Kopf voller Eindrücke, durchgelüftet, frei. Aus dem Auto steigen, die Tür zuschlagen, den Rücken durchstrecken. Die Beine ebenso. Und dann bist du bereit für Heimkommen. Du gehst ins Haus und wenn du Glück hast, ist da einer, der sich freut, dass du da bist. Der dich umarmt und hält und sagt: „Wie schön.“ Wenn du dieses Glück gerade nicht hast – na gut, dann kommst du trotzdem heim. Öffnest die Tür, schaust zur Terrasse – dort wartet die Katze der Nachbarn, denn sie hat Hunger. „Hast Du keine Maus gefangen? Hast du auf mich gewartet?“

So bist du meistens heimgekommen. Damals. Als du lange Fahrten gemacht hast. Dennoch. Da war deine kleine Wohnung. Sie strahlte Wärme aus. Die, die du ihr gegeben hattest. Das war genug. Das weiße Sofa – bequem und schon ziemlich zerkratzt von der Katze, die dich eines Tages adoptiert hat. Die Bilder an den Wänden. Der Scherenschnitt von Franz. Das Klavier – deine Rettung vor Einsamkeit. Der Fernseher – der bleibt heute aus. Den brauchst du nicht. Dein Kopf ist voller Bilder. In der Küche steht noch eine halbe Flasche Chianti. Du hättest jetzt Lust auf ein Glas. Und auf gute Musik. Was haben wir da? Joe Zawinul. Ja, das ist gut. Das passt zu dir – und zum Heimkommen auch. Später dann vielleicht Hannibal Means und Gospel. Aber erst später. Nach Joe.

Die Katze füttern, die einzige Topfpflanze gießen, die du hast. Sie hält drei Tage ohne Wasser aus. Drei Tage genügen für die Durchquerung von Österreich – der Länge nach – und der Schweiz nach Frankreich. In den Süden. Grasse. Du hast den Lavendel gerochen, nicht gesehen. Weil es Nacht war. Todmüde hast du an einem Motel angehalten. Bist in das Bett gefallen in dem Zimmer, das man dir gegeben hat, und hast dich gewundert über den intensiven Geruch. Du warst so müde, dass du ihn nicht erkannt hast. Am nächsten Morgen hast du dich gewundert, dass es nicht hell wird. Ah, da sind Holzläden vor dem Fenster! Und da ist noch immer dieser Geruch, der dir den Atem nimmt.  Du stößt die Läden auf, reißt den Mund auf und vergisst, ihn wieder zu schließen. Lavendelfelder, so weit du sehen kannst. Sie beginnen unter dem Fensterbrett und reichen bis zum Horizont. Die hohen Stengel mit den lila Blüten wiegen sich sanft in der morgendlichen Brise. Du bemerkst, dass du noch immer den Atem anhältst.

Weiter nach Süden, bis St. Raphael an der Küste. Dort hast du deine erste Fischsuppe mit Aioli gegessen. Was für ein Genuss. Dann die Küste entlang – Cannes, Monte Carlo, weiter bis zur Grenze. Du schwenkst nach Norden. Durch die Seealpen. Es wird fast finster auf der Straße – so hoch ragen die Steilhänge empor. Oben liegen Dörfer – wie Schwalbennester kleben sie an den Felsen. So ein Targadach ist schon etwas Feines. Da kannst du alles sehen. Dann der Col de Tende. So einen langen Tunnel hast du noch nie durchfahren. Der hört doch hoffentlich irgendwann einmal wieder auf? Bei Sonne bist du hineingefahren. Graue Wolken begrüßen dich beim Verlassen. Italien. Was machen bloß die vielen Menschen auf den Wiesen? Alle in gebückter Haltung. Sie sammeln etwas. 8 Kilometer lang fragst du dich, was. Dann bleibst du stehen am Straßenrand. Gehst hinein in die Wiese bis zu einer Frau, die sich den Rücken reibt, als du sie ansprichst. Sie versteht deine Frage nicht und du nicht ihre Antwort. Aber du siehst, was sie in ihrer Hand hält. Frischen Löwenzahn für den Salat. Ach so ist das. So machen das die Leute hier am Sonntag im Piemont. Als du wieder ins Auto steigst, merkst du, du musst bald wieder tanken. Dein Wagen braucht Benzin. Den bekommt er und du – du bekommst zwei Ciabatta. Den Rotwein schlägst du aus. Auch wenn ihn die Frau des Tankwarts so nett angeboten hat. Du hast es noch weit. Du willst weiter. In die Schweiz. Vorbei am Montblanc Massiv. Den Aiguille du Midi siehst du wieder durch das Targadach und beglückwünschst dich. Und dann röhrst du über die Autobahn, machst nur Halt für Kaffee und eine Zigarette. Irgendwann bist du eins mit dem Motorengeräusch und deinem Sitz. Funktionierst und fährst mit deiner Musik und deinen Gedanken. Irgendwann weißt du vom Zittern der Räder, dass du die Autobahn von Salzburg unter dir hast. Weil sie alt ist, diese Fahrbahn. Salzburg. Das heißt, noch drei Stunden bis zum Heimkommen.

Heimkommen. Wärme. Sicherheit. Geborgenheit. Der Kopf voller Bilder. Heimkommen.