Einfach nicht kompatibel

Als ich etwa 23 Jahren alt war, überredete mich ein Jugendfreund zum Tennisunterricht. Wir kannten einander schon sehr lange. Unsere Väter waren gute Freunde und als wir Kinder waren, hatten die Familien manchmal Wochenenden und Kurzurlaube zusammen verbracht. Er war ein wenig älter als ich. Ein ruhiger, schüchterner, sehr großer, dünner junger Mann. Christian.Christian organisierte einen Tennis-Trainer und stellte seinen gemieteten Platz zur Verfügung.Der Trainer war ein hübscher Bursche in meinem Alter, studierte an der Kunstakademie und nahm Schauspiel-Unterricht. Als Tennis-Trainer verdiente er das nötige Geld für seinen Lebensunterhalt.

Die erste Stunde verging noch einigermaßen gut mit Haltungsübungen, Schlagübungen mit dem Racket, hauptsächlich ohne Ball, Schrittfolgen und so weiter. Dann brachte er unglücklicherweise den Ball ins Spiel und seine Pechsträhne begann. Ab diesem Zeitpunkt war seine künftige Karriere ernsthaft in Gefahr, aber das wusste er nicht.Wie er wirklich hieß, habe ich nie erfahren. Sein Künstlername war Serge. Nennen wir ihn also so.

Serge stellte sich ans Netz, mit einem ganzen Sack voller Tennisbälle, und warf sie mir zu. Meine Trefferquote war nicht gerade hoch. Ich war zwar eifrig und motiviert, aber zunehmend verkrampft wegen zahlreicher Anweisungen über Haltung, Schulterbewegung und Schritte, die er mir verbal ständig vom Netz her zuwarf. Ich konnte diese Anweisungen zwar befolgen, aber ich tat es hintereinander, nicht gleichzeitig. Das war ihm nicht recht. Wenn ich den Ball traf, war die Richtung, in die ich ihn schoss, leider nicht immer richtig. Serge wurde immer unmutiger und ich stand unter einem wahren Trommelfeuer seiner ärgerlichen Befehle. Irgendwann stand er dann gelangweilt am Netz, warf seine Bälle und sah kaum mehr zu mir her.Und dann traf ich einen Ball. Und zwar gut. Und er flog auch genau auf Serge zu. Leider wandte er den Kopf zu spät in meine Richtung – erst Sekundenbruchteile, bevor dieser erstaunlich rasante Ball ihn traf. An seiner linken Augenbraue. Sie platzte augenblicklich. Blut lief über sein Auge. Ich war entsetzt. Ich warf mein Racket zur Seite, lief zu ihm hin und weil er so laut schrie, schrie ich mit ihm verzweifelt um die Wette. Nach einem Arzt, der Rettung, der Feuerwehr – um Hilfe eben. Ich habe bis dahin nicht gewusst, dass ein Cut über der Augenbraue so stark bluten kann. In meiner Not zog ich sogar mein Shirt aus, weil ich nichts anderes hatte, um das Blut zu stillen. Bis Hilfe kam, war sein Auge komplett zugeschwollen. Er wurde notdürftig verarztet und ich brachte ihn ins Spital. Dort wurde er mit mehreren Stichen genäht. Ich entschuldigte mich hunderttausend Mal und er erzählte mir vorwurfsvoll, dass er nun seinen Auftritt in der Premiere des Akademie-Stückes in drei Tagen vergessen konnte.Schließlich brachte ich ihn nach Hause, wo er von seiner Freundin in Empfang genommen wurde. Noch in der Tür erzählte er ihr meine Missetat, was bei ihr ungeahnte Heiterkeit auslöste. Da tat er mir noch mehr leid.

Zwei Wochen vergingen.Christian drängte Serge auf Fortsetzung des Trainings, obwohl ich Zweifel an meinem Talent für diesen Sport anmeldete.

Bei der nächsten Stunde mit Serge konnte ich die deutlich sichtbaren Narben der Stiche über seinem linken Auge sehen. Ich war dementsprechend noch viel verkrampfter als beim letzten Mal. Wieder warf er mir die Bälle vom Netz aus zu. Dazu pausenlos Anweisungen. Mir schwirrte der Kopf. Ich schoss die Bälle auf die benachbarten Plätze und brachte dort die Spieler gehörig durcheinander. Sie schimpften: Zu viele Bälle auf dem Platz! Serge war das peinlich. Er verlangte, dass ich genau auf ihn zielen solle. Er machte Druck. Als ich gestand, ich hätte Angst, ihn wieder zu treffen, hielt er mir einen Vortrag über Statistik und Wahrscheinlichkeitsrechnung im Zusammenhang mit meinem schlechten Ballgefühl.Dann warf er den nächsten Ball und schrie: „Versuch jetzt, mich zu treffen!“Ich zog voll durch. Ich bemühte mich. Versuchte, alles richtig zu machen – und zwar gleichzeitig. Und ich schwöre bei allen Heiligen, ich wollte nicht, was dann geschah. Ich brauchte mehr als eine Sekunde, um zu begreifen, dass zweierlei nicht stimmte. Erstens hatte ich den Ball nicht getroffen. Zweitens hatte ich das Racket losgelassen. Es flog direkt auf Serge zu. Er stand am Netz und schaute. Sein Blick war fassungslos. Dann traf ihn das Racket an der rechten Augenbraue. Serge fiel stocksteif nach hinten. Cut über der Braue. Sechs Stiche.

Unnötig, zu erwähnen, dass dies meine letzte Trainer-Stunde war.Serge ließ mir ausrichten, Training für mich und seine Schauspiel Karriere – das sei einfach nicht kompatibel…